Diese Frau kämpft sich durch

Der Auftrag war einigermaßen einfach. Doch es liegt gewissermaßen in der Natur des Einfachen, das Schwierige zu tarnen. Also wurde es kompliziert. Langwierig. Und kalt. Die Vorgabe aus der Redaktion der Österreich-Ausgabe der ZEIT lautete sinngemäß: Mach bitte ein Porträt einer möglichst durchschnittlichen österreichischen Pensionistin. Keine Tränendrüsendrücker-Geschichte von den Schattseiten menschlicher Existenz. Keine Golden Ager mit Kiesertraining-Abo, silbergrauem SUV und Fernreisementalität.

Drei triste, düstere, schnürlregenverseuchte Tage lief ich auf den Wiener Straßen herum, um den Durchschnitt zu finden. Wie viele ältere Damen ich angesprochen habe, weiß ich nicht mehr. Wie viele sich davor geängstigt haben, dem personifizierten Neffen-Trick zu begegnen, kann ich nur ahnen. Ich entschuldige mich dafür. Meine Motive waren lauter. Es waren keine schönen Tage – und das obwohl es ein Privatissimum im gelebter Neugier war.

Seine Umwelt aufmerksam zu beobachten, die Menschen, ihre Bewegungen genau zu studieren, sich in ihre Mienen zu vertiefen, war lehrreich – und nicht gerade erquickend. Die Stadt zeigt, abzüglich jener, die im Büro, in ihrer Arbeit sitzen, sich tätig abarbeiten, um ihr Leben zu bestreiten, ein anderes, nachgerade verhärmtes Antlitz.

Verzagtheit,  Armut, vor allem viel stille Wut bevölkert in diesen Stunden die Straßen. Der aktuelle Einkommensbericht des Rechnungshofs, der nüchtern festhält, dass ausgerechnet Ärmere im Vergleich zu Besserverdienern ungleich größere Reallohnverluste hinnehmen mussten – hier bekommen diese Zahlen ein Gesicht.

Frau Steiner hat mich schließlich von der Meidlinger Hauptstraße geholt. 72 Jahre alt, Akademikerin, Mutter von zwei Kindern. Sie bekommt monatlich 806 Euro Pension. Das ist nicht durchschnittlich. Das ist prekär. Frau Steiner lässt sich dennoch nicht unterkriegen – und ich habe gelernt, dass viel Geld nicht unbedingt viel glücklicher macht. Hier habe ich ihre Geschichte erzählt.

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