Natürlich hatte auch ich meinen Emanuelle-Seigner-Moment. 1992 war das. Seigner: die Mimi in Roman Polanskis „Bitter Moon„, einem Streifen, der sich als Psychodrama tarnt aber ein astreiner Kastrationsfilm ist.
Die Handlung: Oscar (Peter Coyote), ein larmoyanter, meist aber zynischer Schriftsteller mittleren Alters, macht sich die junge, unbedarfte Mimi gefügig. Sie spielt willenlos jedes seiner bizarren Psycho-Exzesse bis zur völligen Erniedrigung, bis zur sexuellen Unterwerfung mit. 50 Shades of Grey auf die extraharte. Der Lebemann – der willfährigen Lustsklavin langsam überdrüssig – stürzt sich alsbald in zahllose Affären. Mimi verkommt zur verwahrlosten Raumpflegerin mit eingebauter Kochautomatik.
Mimi (Emanuelle Seigner) in „Bitter Moon“ und am Tiefpunkt. Videostill von proletkult.
Der Plot Point kommt hart und brutal: Oscar ist nach einem Verkehrsunfall ab der Hüfte abwärts gelähmt. Und Mimi? Nimmt an dem Despoten Rache. Hält ihn wie ein Hündchen, vögelt neben dem hilflosen Versehrten virile Hardbodies – und gibt nach außen hin die sorgsame Pflegerin. Polanski setzt seine Story kühl sezierend und damit umso eindringlicher in Szene. Emanuelle Seigner hingegen, damals frisch angetraute Gattin des Regisseurs, hat sich als ätherischer Racheengel in mein Langzeitgedächtnis gefräst. Also immer schön freundlich sein zu den Frauen.
Abseits diverser Psycho-Komplikationen erzählt „Bitter Moon“ vor allem eine pädagogische Story: Bildung macht aus einem Menschen keinen besseren Menschen. Oscar, der von der Happy Few hofierte Schriftsteller, ist trotz gedrechselter Worte und schöngeistiger Allüren ein fantastisches Arschloch.
Schauspielerin Seigner scheint Stoffe wie diese zu mögen, etwas variiert taucht dieses Thema auch in François Ozons grandiosem Film „In ihrem Haus“ auf. Auch hier blättert die Intellektuellen-Fassade rasch, als in den Haushalt eines Bildungsbürger-Ehepaars Sinnlichkeit und ziemlich niedere Instinkte Einzug halten. Hauptbetroffen ist wieder ein Mann, ein betulich-braver Französisch-Lehrer mit ehemaligen Schriftsteller-Ambitionen, dessen Frau von einem seiner Schüler hofiert wird. (Seigner spielt die Mutter des zwielichtigen Jungspunds.) Und schon wird er zum Tier, der Herr Lehrer. Blöd also, wenn man sich jahrelang bemüht, sich ein paar Titel vor den Namen zu studieren, einen schönen elaborierten Code antrainiert und eine Bleibe in der „richtigen“ Gegend hat – und dann doch immer wieder auf planiert geglaubte Verhaltensmuster, profane Triebe oder jahrelang niedergeknüppelte frühkindliche Prägungen zurück geworfen wird.
Erziehung, falsch verstandene Liebe zur Familie, zur eigenen Scholle, ist auch einer der vielen Subtexte von Harold Pinters Theaterstück „Die Heimkehr“. Ein Stück, das von dumpfen Männern und ihren noch dumpferen Phantasien vorangetrieben wird. Also wieder ein Seigner-Stoff. Luc Bondy hat das Werk in Paris inszeniert und für die Wiener Festwochen als „Le Retour“ ins Museumsquartier geholt.
Ein guter Grund also, mein Französisch wieder aufzupolieren. Das dauerte genau null Sekunden, flog ich doch nicht zuletzt wegen mangelnder Französisch-Kenntnisse (und anhaltender Pubertät) von der Schule. Dankbar nahm ich also die im Saal eingeblendeten Übersetzungen zur Kenntnis.
Die Handlung von „Le Retour“ ist schnell erzählt: Max, ein pensionierter Schlachter, haust mit zwei seiner Söhne – der dritte hat vor langem die Flucht ergriffen – in einem herunter gekommenen Häuschen. Dort gibt der ergraute Zausel den shakespeare’schen Tyrannen, der sich ganz trefflich darauf versteht, seine Nachkommen mit Worten und dem ein oder anderen Magenhakerl zu unterdrücken. Bruno Ganz lädt die Figur zu einem richtig kranken König auf, seine Entourage, die Söhne, sind prächtige Nichtsnutze (ein Abrissarbeiter mit Box-Faible und ein Nesthocker), die sich mit Prahlereien und Hätti-war-i-Selbstmitleid über den Tag bringen.
Max (Bruno Ganz) als treusorgender Familienvater. Bild: Wiener Festwochen
Zumindest einen Hauch menschliche Regung zeigt Max bloß, wenn er von seiner verstorbenen Frau und der Mutter seiner Söhne, einer ehemaligen Prostituierten, erzählt. Das macht er oft und gern, per Lamento wird die Verblichene zur Säulenheiligen umgedeutet.
Die Alltags-Hölle wird zum glühendheißen Fegefeuer, als Max‘ Sohn Teddy mit seiner frisch vermählten Gattin Ruth (Seigner) zu Besuch kommt. Teddy hat in den USA eine sehenswerte akademische Karriere hingelegt und ist nun Philosophieprofessor. Der Vergangenheit, der devastierten Familie, ist der Mann dennoch nicht entkommen: Brav will er den Sanktus für die Ehe bei seinem Vater einholen. Die eigenwillige mütterliche Prägung hat Teddy ebenfalls nicht abstreifen können: die Frisch-Angetraute ist eine ehemalige Prostituierte. Nach einer äußerst unfreundlichen Aufnahme des Paares in Max‘ Terror-Haushalt nehmen die Dinge ihren Lauf. Die schöne Ruth, gleichsam Heilsversprechen, Mutter, Hure in Personalunion, elektrisiert den Alten als auch dessen Söhne. Vergöttert wird sie (und von einem Filius bestiegen) – bis im Familienverband die Idee geboren wird, die Hure wieder zur Hure zu machen: Die Nichtsnutze zu ernähren, den Haushalt zu führen und bei Bedarf die Liebhaberin zu geben, das sei wohl die ideale Rolle für die Angebetete. So wird es dann auch beschlossen. Sieg der Famlien-Despotie. Vorhang.
Damit lässt einen Harold Pinter ziemlich ratlos zurück.
Auf den ersten Blick zumindest. Im Nachgang jedoch serviert „Le Retour“, je nach Blickwinkel und Erfahrungen, unzählige Deutungsvarianten. Man muss nur einen Schritt hinter die plakative Botschaft „Einmal Hure, immer Hure“ zurück treten, um in Pinters Personal bloß ein paar verrottete, selbstgefällige Typen zu erkennen, die sich von ihrem dumpfen Dasein in Ketten schlagen haben lassen. Soll man jetzt Mitleid haben? Nein. Soll man sie bekehren? Sicher nicht. Die bleiben so, wie sie sind. Auch das ist eine Message. Ins Jahr 1965 und damit in eine haussierende Frauen-Bewegung hinein geschrieben, mag „Die Heimkehr“ ein revisionistischer Affront gewesen sein. 2013 ist das Stück in dieser Sache zumindest eine etwas dürftige Aussage.
Erstaunlich zuerst, dann doch nachvollziehbar ist hingegen die Figur des Teddy. Nur halbherzig, bloß zum Schein, wehrt sich der Heimkehrer gegen die Inkorporation seiner Frau. Kläglich scheitert sein Versuch, mit einer Akademiker-Karriere, all dem angelesenen Wissen, der Sogwirkung seiner Herkunft, der Familien-Bande zu entkommen. Blut ist dicker als Wasser – und Bildung, Status sind bloß parfümierte Elixiere. Nichts ist ungeheurer als der Mensch.
Was bleibt: „Le Retour“ ist großes Theater, dem, vorangetrieben von einem famos-widerwärtigem Bruno Ganz und einer enigmatischen Emanuelle Seigner, ein hervorragendes Ensemble zuarbeitet.