Letzte Tage. Ein Vorabend. Eine Enttäuschung.

Der freundliche Herr von der Security war etwas irritiert: „Des piepst, als hätten S‘ a 45er Magnum mit.“ Und je öfter er mit seinem Metalldetektor über meine Oberschenkel strich, umso stärker wurde das investigative Flackern in seinen Augen. Umso stechender wurden übrigens auch die Blicke der Graumelierten und Schwarzbedressten hinter mir in der Warteschlange, die dieses außergewöhnliche Vorspiel zum programmierten Highlight der Wiener Festwochen, das von Christoph Marthaler inszenierte und kompilierte Stück „Letzte Tage. Ein Vorabend.„, noch vor sich hatten. Verantwortlich war gewissermaßen der Hochsicherheitsspielort für dieses „Projekt“ des Schweizer Regisseurs: der historische Sitzungssaal im Parlament. Und das nimmt bekanntlich nur Publikum, das zuvor per Detektor gescannt wurde.

Ich wurde besonders aufmerksam gescannt, sah mich schon im Parlament die Hosen runter lassen, um eine knackige Vollperlustrierung zu gewärtigen. Doch irgendwann und leicht verzweifelt ließ der Mann von meinen Oberschenkeln ab, als Existenzbeweis stieß er noch eine kleine Feuerzeug-Diskussion an – und dann war ich endlich drin. Gut, dass ich die 45er zuhause gelassen hatte.

Langer Anlauf, kurzes Fazit: Der Aufwand hat sich nicht gelohnt. Dabei war Marthalers Konzept durchaus geeignet, den Reichsratssaal mit einer Botschaft aufzuladen. Spannend war das Setting – das Publikum saß vis-à-vis der Abgeordneten-Pulte, verfolgte die Handlung im Halbrund von der Regierungsbank aus – beeindruckend war der Spielraum, der prunkvoll ausgestattete, mit reichlich Ornament, Blattgold und Eichenholz veredelte Sitzungssaal.

Pompöser Zinnober für einen düsteren Hort des Pseudo-Parlamentarismus, in dem sich die Abgeordneten der Kronländer der Donaumonarchie vor allem rituell und aufs Heftigste befetzten. Nicht zuletzt aber war dieser Saal Ende des 19. Jahrhunderts Schauplatz für üble, von Antisemitismus und rassistischen Ressentiments durchtränkte Wortmeldungen.

Hier hakt Marthaler ein und collagiert aus den Protokollen eine Dokumentation des Juden- und Fremdenhasses. Zitiert – und von präzise, zurückgenommen agierenden Schauspielern und Sängern interpretiert – werden die in dieser Sache auffälligen Karl Lueger, sowie akute Rechtsausleger wie etwa Ungarns Viktor Orbán samt Gesinnungsgenossen aus Fidesz-Land oder ein aktueller österreichischer Landespolitiker.

Von der Vergangenheit bis ins Heute reichen also die Beweise für die rhetorische Brandstiftung, die ab Anfang der 1930er in Europa bekanntlich zu einem Flächenbrand führten. Gebrochen werden die inszenierten Vorlesungen – mal wird deklamiert, mal gefeixt – mit den Schicksalen von neun jüdischen Komponisten, die entweder in die Emigration gezwungen oder von den Nazis zu Tode gebracht wurden: Erwin Schulhoff, Jozef Koffler, Alexandre Tansman, Viktor Ullmann, Efim Kiljarov, Fritz Kreisler, Ernest Bloch, Pjotr Leschenko und Pavel Haas.

Deren Vertreibung, deren Ermordung macht Marthaler zu Zeugen für das, was Politiker mit ihren Hetzreden und dumpfem Populismus auszulösen vermögen. Sprechen lässt er aber bloß deren Kompositionen, die – interpretiert von einem sechsköpfigen Orchester – die Antisemitismen und Rassismen widerspiegeln. Und da sind wir auch schon bei einem Problem der Inszenierung: Nach ein paar guten Ideen am Beginn, hat Marthaler rasch sein Pulver verschossen. Dumpfe Schweinestall-Rhetorik folgt auf Musikstück, dann gibt’s wieder Hetze, sogleich wieder Kapelle. Sehr statisch, sehr berechenbar läuft das alles ab, mehr als eine zweieinhalbstündige Betroffenheits-Atmo vermag der Regisseur seinem Stoff nicht abzugewinnen.

Zumal, und da haben wir ein grundsätzliches Problem von Hochkultur im Allgemeinen und Theater im Speziellen, im Publikum wohl niemand sitzt, den Luegers Ausfälle auch nur ein klein wenig überraschen können. Lehrstück ist „Letzte Tage. Ein Vorabend.“ also nicht, viel mehr eine etwas langatmige Belehrung.

Dass das starre Text-Musik-Text-Schema im letzten Drittel der Inszenierung zugunsten eines reinen Musikabends aufgelöst wird, nimmt man angesichts des Klasse-Ensembles und der außergewöhnlich schönen Stücke dankbar zur Kenntnis. Was bleibt: „Letzte Tage. Ein Vorabend.“ ist gut und richtig und wichtig. Einen Weg in mein Herz hat Marthaler nicht gefunden. Schade.

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