Musik = Müll.

Der Hintern: platt. Der Kopf: pickepackevoll. Letzteres jedoch nicht, weil es am Donnerstag abend bei der Österreichischen Gesellschaft für Literatur (ÖGL) nahrhafte geistige Sättigungsbeilagen gab, sondern aufgrund des unbefriedigenden Umstands, dass am Podium viel vorgetragen, sinniert und postuliert wurde, in jedem Halbsatz jedoch ein Bündel Anschlussfragen steckte, die mich in Summe noch ratloser zurück gelassen haben, als ich es ohnehin schon bin. Erraten: es geht um das Thema Urheberrecht im Internet, konkret ob und wie die Kunstgattung Musik in Zeiten von Spotify, Torrent und iTunes noch zu retten sei.

Die Folie war ein vom Musiker, Produzenten und Romanautor Hans Platzgumer sowie dem Fach-Journalisten Didi Neidhart präsentierter Essay mit dem Titel „Musik = Müll“. Ersterer ist für mich – nicht zuletzt als Teil der hochspannenden Combo H.P. Zinker – einer der herausragendsten Musiker, Zweiterer – so wurde er zumindest vorgestellt – der „beste Musikjournalist“ dieses Landes. Beide arbeiten sich am von ihnen konstatierten Müllstatus, den Popmusik mittlerweile einnimmt, ab, beleuchten den Niedergang des Markts und die Gründe, warum es dazu kam, und unterziehen schließlich den Sinn und Unsinn des Urheberrechts einer Überprüfung.

Soweit der Anspruch des Textes, der an seinen Anfang einen Disput von Platzgumer mit seinem 11-jährigen Sohn stellt, in dessen Zentrum die Frage steht, was denn gute, qualitätvolle Musik sei, konkret, warum der Filius auf seinem Multimediatelefon nur „Schrottmusik“ eines gewissen DJ Antoine hört, was den Vater, Pädagogen und Musiker Platzgumer ganz schrecklich sauer macht. Wir sind also Zeuge einer Rousseau’schen Amtshandlung. Ohne in die Details eingehen zu können und zu wollen und zumal ich den Inhalt des Bändchens nur in Ausschnitten kenne, sind in meinem Schädel die Fragen und persönlichen Schlussfolgerungn wie Gewitterwolken aufgezogen. Ich schreib sie einfach mal nieder, diese Impressionen einer zweistündigen Arbeitssitzung im ÖGL-Headquarter.

  • Die Autoren haben einen ziemlich konsistenten Maßstab, was Qualitätsmusik und was Schrottmusik sei. Sich selbst. Die beiden kennen sich aus, keine Frage. Der Musikgeschmack eines 11-Jährigen ist meines Erachtens jedoch insofern problematisch, als ich in diesem Alter auch nicht gerade intimer Schostakowitsch-Kenner war. Mit 11 Jahren hört man einfach nur scheiße Musik. Ist so.
  • Musik wird durch die ständige Verfügbarkeit via allerlei Internet- und Multimedia-Devices entwertet, so die These. Die Abspielgeräte pressen die Melodien in miserabler Qualität in die Gehörgänge, die Produzenten und „Komponisten“ würden sklavisch darauf achten, in der ersten Minute des Songs, die musikalischen Knaller unterzubringen, weil sie wissen, dass die Jugend innerhalb 30 Sekunden entscheidet, ob die Nummer „fetzt“, und falls nicht, einfach zum nächsten Download weiterziehen. Keine Zeit mehr, für eine ausgefeilte „Bridge“, keine Chance für ein paar schräge, konterkarierende Melodiebögen. Also Kunst. Stimmt alles. War aber  in der Popmusik nie anders. Das war schon bei Motown so – worauf die Autoren auch hinweisen – das ist Pop. Also warum die Beschwerde? Musik, so sie publiziert wird, leidet an dem einfach Umstand, dass Kunst auf einen kommerziellen, darwinistischen Markt trifft. An diesem Umstand leidet jede kulturelle Hervorbringung. Die Musik im 21. Jahrhundert wohl am meisten.
  • Und was ist mit dem Trash? Was mit den Stilblüten, die so schlecht sind, das sie schon wieder gut sind? Fremdschämen, als Distinktionsmerkmal der Auskenner? Udo Jürgens‘ „Mit 66 Jahren“ und Kiss‘ „I was made for lovin‘ you“ sind Grundinventar jeder gut in Alkohol eingelegten Studenten-Party. Und daheim gibt’s dann wieder die volle, hochwertige, diskursive Packung Blumfeldtocotronicgustavnakedlunch. Pop-Musik liebt das Spiel mit dem Trash. Die Menschen auch. Man fühlt sich dann ein klein wenig erhabener. Unfair? Ist so.
  • Ad Urheberrecht vulgo Erlösmodell für die Künstler. Beklagt wurde, dass Musiker mittlerweile alles sein müssen: Komponisten, Produzente, Verleger, Konzert-Veranstalter. Die eierlegende Wollmilchsau aus dem Heimstudio. Das mache die Ware nicht besser, künstlerisch beliebiger, so Platzgumer/Neidhard. Kann ich nicht sagen, nein, glaube ich einfach nicht. Schlicht, weil gleichzeitig die Konkurrenz in Zeiten digitaler Aufnahmertechniken viel größer ist, was eine Nivellierung nach unten verhindert.
  • Wie ein guter, mittelständischer Musiker im 21. Jahrhundert zu seinem Gerschtl kommt, weiß ich nicht. In der Upper-Class des Pop wurde die Line-Extension als probates Mittel entdeckt, die Konten zu füllen. Die eigene Mode-Marke, durchgeknallt hohe Konzertticket-Preise, spezielle, kostenpflichtige Personality-Gadgets. Doch die Unter- und Mittelklasse darbt. Sie darbten aber auch früher, in den Achtzigern und Neunzigern, in Zeiten der A&R-Scouts und profitablen Riesenlabels.
  • Ein Sidestep zum Buchmarkt: Hier funktioniert die sogenannte Verwertungskette trotz E-Books und Selbstverlagmöglichkeiten via Internet noch prächtig. Ein paar „Majors“ teilen den Markt unter sich auf, Lektoren pflegen die Texte bis zur Veröffentlichungsreife heran, Verlagsvertreter schwirren aus und preisen die Werke an der Basis, beim Buchhändler an. Von denen, also vor Ort, gibt es zumindest hierzulande noch viele. Die Buchpreisbindung sorgt für einen konsistenten Markt, in dem die Ware nicht gedumpt wird. Und wenn ein Verlag ein wenig Cash braucht, geht er zu den Kommunen, und lässt sich einen Fotoband oder „Regionalia“ vom Steuerzahler finanzieren. Allein: der überwiegende Teil der AutorInnen kann von den Tantiemen nicht leben. Wie bei den Musikern, denen die Verlage abhanden gekommen sind, und die nun auf der Suche nach Erlösmöglichkeiten auf sich selbst gestellt sind. Warum ist das eigentlich so, Buchverlage? Ihr operiert in einem (zurecht) geschützten Markt, und unten, bei den (guten) SchriftstellerInnen kommt so wenig an?
  • Hans Platzgumer, ehemals heftiger Punk-Musiker, wünschte sich vom Podium herunter eine Revolution in der Populär-Musik. Das Jetzt müsse eingerissen werden, die Musik aus den Ruinen neu erstehen. Der Markt sei nur noch überdreht, durchkommerzialisiert, banal. Bloß: Was kam nach dem kurzen, segensreichen Wirken des Punk? Die Achtziger. Musikalisch ein Jahrzehnt des Grauens.
  • Letzte Feststellung: Musik sei der Gesellschaft, auch den KundInnen nichts wert, so die These der Autoren. Stimmt. Wie es anders geht, zeigt der Buchmarkt. Ein Buch ist dank der Buchpreisbindung – zumindest für den Kunden – kommerziellen Mechanismen entzogen. Gleich, ob ich beim Bahnhofszeitschriftenhändler kaufe oder in der Bucherlebniswelt, ob in der SCS oder in der kleinen Buchhandlung ums Eck – ich zahle immer den gleichen Preis. Kein Geiz-ist-Geil-Schatten legt sich über dieses Vergnügen, kein dumpfes Gefühl, von einem Händler in der Touristenzone abgezockt zu werden. Ein Buch ist – wenn es um den Preis geht – ein „No-Brainer“. (Abseits davon, gibt es noch eine Schlüsselqualifikation, des schnöden, antiquierten Mediums, das ich so liebe: Ich muss mich nicht, wie sonst bei den Digitalisierungen von Information, mit Software-Updates, Bildschirmauflösungen, Download-Kapazitäten, Verfügbarkeitsfragen, Akkulauf-Leistungen, Sonnenlichtlesefähigkeiten, Vertragskleingedrucktem und Preisvergleichen herum schlagen. Fuck you, E-Book-Super-Bundle-Angebot. Und wer nun meint, dass ein Buch halt doch ein bisserl teuer und auch ein wenig elitär sei, dem rufe ich zu: Besuchen Sie die hervorragenden öffentlichen Bibliotheken in diesem Land!)
  • Im übrigen leide ich jedes Mal, wenn ich in der Mariahilfer Straße an diesem Itchy-Bitchy-Mega-Shoe-Shop vorüber gehe, in dem früher einmal der Virgin Megastore beheimatet war. Was für eine Fundgrube allerfeinster Musiken, kompetentes Personal, beste Preise. Seitdem er nicht mehr ist, weiß ich in Wien zumindest nicht mehr wohin mit meinen Musiksehnsüchten. Allein: Das habe ich mir selbst kaputt gemacht. Mit meinen Free-Music-Download-Sessions Anfang des Jahrtausends. War supersubversiv und auch sehr cool, die geldgierige, kapitalistische Musikindustrie zu zerstören. Stattdessen wurde die Geldgier an einen Konsumenten weiter gereicht, der in einer mit tausenden Gratis-Download-Titeln vollgeräumten Festplatte eine Bestätigung für Musik-Kennerschaft sieht. Auch irgendwie blöd.

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