Rammeln wie Schafsmann.

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Von allen Musiken ist mir die Alte Musik die Liebste, um hier ein stilistisches Ornament von Thomas Bernhard abzugreifen. Der Ohlsdorfer Hagestolz, der für eine Vielzahl seiner  Romane Klassik-Komponisten und -Interpreten rekrutierte, hätte an diesem Abend im Wiener Konzerthaus gewiss Gefallen gefunden. Der Mann war schließlich Übertreibungskünstler. Jean-Baptiste Lully (1632 – 1687) war ein ebensolcher.

Nichts weniger als eine musikalische Weltreise an exotische Orte war am Haus am Heumarkt (Klingt jetzt nicht so nobel) angezeigt. Zugange war das französische Barock-Ensemble „Le Poème Harmonique“, dirigiert von Vincent Dumestre. Ein Auftritt im Rahmen der „Resonanzen 2013“, der – Achtung, Promi-Sichtung – den Heiligenkreuzer Alt-Abt Gregor Henckel-Donnersmarck ins Konzerthaus lockte. Begleitet von zwei Zisterzienser-Brüdern ließ sich der Gottesmann vor mir nieder – im Vergleich zu Ex-Staatsoperndirektor Ioan Holender, der mir im Theater an der Wien mit seinen grummeligen Just-in-Time-Kritiken Marc Minkowskis „Wagner 1863“ vermieste, der eindeutig angenehmere Mit-Konzertbesucher. Merke: Wenn ich schon in der letzten Reihe sitze, will ich meine Ruhe, Holender! Aber ich schweife ab.

Zurück zum Setting im Konzerthaus: Das Programm barg unter dem sperrigen Titel „Von Versailles zur Verbotenen Stadt. Der Einfluss des Exotismus auf die französische Musik im 17. Jahrhundert.“ vor allem Werke von Jean-Baptiste Lully, seines Zeichens gefeierter, egozentrischer Musik-Zampano am Hofe Ludwigs XIV.

Der machte sich mit seinen Kompositionen einen Jux daraus, dem Publikum Hörbilder aus geheimnisvollen, teils gänzlich unbekannten Kulturen darzubringen. Pseudo-orientalische musikalische Arabesken begleiten die Auftritte fremdländischer Sänger aus dem türkischen Muselmanen-Reich (Claire Lefiliâtre, Sopran; die Tenöre Marcel Beekman und Serge Goubioud; André Morsch, Bariton sowie der Bassist Arnaud Marzorati), Spanier, Griechen, Italiener, Chinesen und Afrikaner geben sich ein Stelldichein. Höhepunkt des musikalischen Kuriositätenkabinetts: Auftritt von Abkömmlingen eines rätselhaften Bergvolks – den Schweizern.

Lully greift tief und vor allem ungeniert in den Farbtopf, um im Kopf seiner Hörer mit Mythen aufgeladene Bilder entstehen zu lassen. Mangels Vorlagen und Erfahrungen gedeihen auf der Bühne kunterbunte Phantasmagorien – Hauptsache es klingt irgendwie fremdländisch. Gut 150 Jahre später zog die Nummer im Wiener Wurstelprater bei der Erstehung von „Venedig in Wien“ und anderen Instant-Reisen bekanntlich noch immer. Heute nährt die überseeische Verheißung die Fernreise-Industrie.

Trotz des musikalischen Exotismus kreisen die Texte im wesentlichen um ein länder- und kulturübergreifendes Thema: die Liebe. Betörend schöne Sequenzen („Ich weiß, dass ich aus Liebe sterbe, und bitte um Schmerz.“) wechselten sich mit durchaus deftigen Botschaften ab. („Wenn du mich liebhaben, ich nicht faul: Die ganze Nacht lang ich rammeln wie Schafsmann. Don don dirindon dirindon …“). Vor mir röteten sich Zisterzienser-Ohren.

Vincent Dumestre führte seine „Le Poème Harmonique“ kraft enormer Spielfreude, schön gesetzten musikalischen Pointen und transparentem Klang zu einem prächtigen Konzerterlebnis. Besonderes Lob für die nahtlose Verschmelzung der Singstimmen mit dem Instrumental-Ensemble. Das kam wie aus einem Guss. Ein im eigentlichen Sinne des Wortes unterhaltsamer Abend. Ein lehrreicher nicht minder.

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