Piotr Anderszewski, so geht die Fama, habe in jungen Jahren bei einem Klavierwettbewerb in aussichtreicher Position liegend plötzlich den Vortrag abgebrochen, weil ihm sein Spiel zu stümperhaft erschien. Der Eigensinn hat den Polen dennoch nicht davor bewahrt, eine würdige Karriere hinzulegen. Diesmal im Konzerthaus: der Obige mit Werken von Johann Sebastian Bach (Englische und Französische Suite), Leoš Janáček (Auf verwachsenen Pfaden) und Ludwig van Beethoven (Sonate As-Dur op. 110 von 1821).
Letzteres Stück war die Entdeckung des Abends. Schließlich zerlegt der Meister die Exposition ziemlich rustikal, nimmt bei den Klangfolgen teils harte Abzweigungen und schraubt das Ganze im zweiten Teil ziemlich kompromisslos und gar nicht der reinen, klassischen Lehre folgend wieder zusammen. Leise klingt da, so glaubt man zumindest, die Wiener Schule durch. Der Mann war seiner Zeit um Jahrzehnte voraus. Hauchzarte, dunkelschwarze und nicht minder komplizierte Tonfolgen wechseln sich mit transparenten, ausbalancierten Klängen ab. Zum Schluss ein Tusch mit Anlauf – und der Vortragende hätte den Abend auch schon wieder beenden können. So vielgestaltig, so sättigend war das. Und Anderszewski? Hatte das Aufgabenstellung voll im Griff, hatte das Stück maximal ausgeleuchtet, ohne dem Hang zu starkem Posing nachzugeben. (Nur manchmal blitzte das Ego durch, wurde aber rasch zurück gedimmt.) Großartig!
Souverän der Janacek, zu dem ich jetzt nicht viel sagen kann, weil ich mich noch ein wenig in sein Werk einarbeiten muss. Blendend, vorbildlich tänzelnd und doch präzis mathematisch: die beiden Bachs. Schwer vorstellbar, dass das einmal Tanzmusik war. Erhellendes steht der Bedeutung des Tanzes und ganz speziell zur besonderen Rolle des Tanzlehrers im 18. Jahrhundert im Programmheft, Rudolf Klein hat diesen kleinen Schatz aus dem Archiv gehoben: „Der Tanzlehrer hatte eine überragende Stellung: An Universitäten und Ritterakademien war er gewöhnlich der am höchsten Besoldete des ganzen Professoren-Kollegiums, und seine Lektionen galten mehr als die Vorlesungen über alte Sprachen, Mathematik und Philosophie.“
Heute instruieren sie zum Gaudium des Volkes öffentlich-rechtliche Tanzbären. Wie sich die Zeiten ändern.