Igor Strawinski, Oedipus Rex

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Was, frage ich mich, und ich frage mich nicht selten, aber dieses Mal doch mit einer Dringlichkeit, die sich von diesem völlig verblasenen Text erheblich unerscheidet, der es tatsächlich schafft, im Untertitel die Leer-Formel „unsere Gegenwart“ mit den Signalwörtern „Autismus“ und „Sex“ zusammen zu dengeln, um sich in weiterer Folge als Denkstück über den „Internet-Schütteltanz“ namens „Harlem Shake“ zu tarnen und ergo in eine Phrasenhaftigkeit abgleitet, die sich von dieser, meiner Einleitung kein bisschen unterscheidet – was also frage ich mich, soll ich mit diesem Abend im Konzerthaus anfangen? Ich hadere.

Hauptact war Igor Strawinskis „Oedipus Rex“, ein Opern-Oratorium in zwei Akten für Sprecher, Soli, Männerchor und Orchester, namentlich HK Gruber – seines Zeichens auch Komponist und Dirigent des Abends -, der Chorus Viennensis sowie das BBC Philharmonic. Die Soli bestritten neben fünf männlichen Solisten die mittlerweile schon sehr bekannte Mezzosporanistin Angelika Kirchschlager, hier als Jokaste, Witwe des Laios und frisch Angetraute des König Ödipus. Wir bewegen uns also mit Strawinskis Werk (Uraufführung 1927) auf den wirren, verschlungenen, unwegsamen, hochdramatischen und stets von Meuchelblut getränkten Pfaden der griechischen Mythologie. Und die kommen in diesem Fall an einer Kreuzung zusammen, die in für den Fortgang der Handlung eine entscheidende Rolle spielt. (Chorus: „Trivium. Trivium.“ also „Kreuzweg. Kreuzweg.“)

An selbigem hat der Titelheld einige schwerwiegende Entscheidungen zu treffen. Die Rettung Thebens vor der Pest endet indes letal: Jokaste erhängt sich, Ödipus, der spät aber doch zu der Erkenntnis kommt, dass die Verstorbene seine Gattin (Inzest!) und Laios, der von ihm getötete Vorgänger im Amt, sein Erzeuger (Vatermord!) war, blendet sich und verlässt die Stadt. Den dramatischen Stoff, von dem die Psychologie noch heute lebt, verhandelt Strawinski in gerade einmal 50 Minuten. Länger wäre auch nicht mehr, schließlich wirft der Russe die ganze Wucht eines großen Orchesters samt Chor samt Solisten samt Sprecher in die Schlacht, um seine mit viel Blech, allerlei Schlagzeug, fetten Pauken und bebenden Männergesangsvereinsstimmen angereicherte Story anzubringen. Strawinski eben.

HK Gruber, einer der fixen Gastdirigenten des nahe Manchester stationierten BBC Philharmonic, ist zudem keiner, der den leiseren Zwischentönen wirklich eine Chance geben will. Der Wiener lässt dem russischen Klangfuror freien Lauf, ist – auch als Sprecher – ein lautstarker Andrücker, dass selbst in Reihe 25 die Brillengläser in der Fassung vibrieren. Das BBC Orchester, übrigens eines von sechs (!) Klangkörpern, das sich die britische Sendeanstalt hält, setzt den Auftrag auch tadellos um, peitscht die Töne mit Verve, transparent vor sich her. Ein Heavy-Metal-Job mit dem der Chorus Viennensis ganz prächtig amalgamiert – zu leiden haben indes die Solisten, vor allem die tiefen Register wie Bariton und Bass, die im opulenten Orchestersound mitunter übel absaufen. Ein phasenweise zurück genommenes, rücksichtsvolles Opern-Dirigat hätte auch die Herren am Bühnenrand akustisch zur Geltung gebracht. Angelika Kirchschlager zeigte während ihres relativ kleinen Parts, warum sie zur Zeit eine der Chefinnen an der Rampe ist: Mollige, leicht rauchige Stimme, picobello Modulationen, schönes Timbre. Klasse!

Irgendwie gar nicht klasse waren die beiden Stücke, die vor der Pause gegeben wurden. HK Grubers Komposition „Northwind Pictures“ von 2011, ein Sample eines Opernstücks, in dem Instrumentengruppen die Singstimmen übernehmen, gab sich vorderhand als klassisches zeitgenössisches Stück, das aber im wesentlichen dazu diente, dem Faible des Meisters für Pose und Lautstärke Raum zu geben. Da klescht das Blech und kieksen die Geigen, volle Kanne Klang und kein zurück – Mahler 2.0. War pfeffrig und ergo gut. Den Rest entscheidet der persönliche Geschmack.

Leider völlig farblos waren die darauf folgenden Nachtmusiken op. 104 (2009) von Kurt Schwertsik. War es die volle Wucht des ersten Stücks, das den streicherlastigen Klang verblassen ließ? Möglich. Über die Atmosphäre eines Filmscores kam das Werk nicht hinaus. Wenigstens eine schöne Tempoangabe konnte ich dem Programmheft entnehmen: „Noch ruhiger Geschwindmarsch“. Exquist.

Apropos Programmheft. In der Redaktion scheint ein tatsächlicher Witzbold zu sitzen. Oder ein alter Autorevue-Leser. Wie auch immer: Gefällt!

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